Auf Rückzug

17. Mai 2023 von Marlies

En Retraite – so nennen die Franzosen die Pensionierung, den „Ruhestand“. Das scheint mir sinnbildlich der Pensionierungsrealität recht nahe zu kommen, freiwillig oder unfreiwillig.

Eine höchstpersönliche Erfahrung

Wenn ich mich mit pensionierten Menschen unterhalte, sind ihre Erfahrungen mit dieser Lebensphase nach der Erwerbsarbeit so unterschiedlich wie die Menschen selber. Die einen haben sich darauf gefreut und ihre Erwartungen werden erfüllt, sie geniessen die viele freie Zeit und das „nichts mehr müssen“. Anderen fällt der Rückzug aus der Arbeitswelt schwer – häufig sind es Menschen, welche ihre Arbeit geliebt hatten und damit viel Wertschätzung und wertvolle Kontakte verbunden waren. Ihre Sorgen und Befürchtungen im Vorfeld, dass ihnen das schmerzlich fehlen wird, bestätigen sich.

Nicht genutzte Ressourcen

Es gibt zwar viele Angebote für ältere Menschen und langweilig dürfte es ihnen deshalb nicht werden. Aber wirklich angemessen scheinen mir unsere Strukturen noch nicht für eine Generation, die immer älter wird, gut ausgebildet ist und noch einiges leisten könnte für die Gesellschaft. Viel mehr habe ich den Eindruck, dass Menschen in den Rückzug gezwungen werden, welche in vielen Bereichen dringend gebraucht würden – ich denke an den viel beklagten Fachkräftemangel in unterschiedlichsten Branchen.

Sowohl als auch

Gleichzeitig stehen ältere Menschen vor dem Dilemma, sich einerseits engagieren und einbringen zu wollen, aber nicht mehr in diesem überhitzten Tempo, das in vielen Jobs herrscht, denn ihre Kräfte – die physischen wie die psychischen – lassen nach und sie möchten und müssen sich Sorge tragen. Eigentlich nicht nur die Alten, auch die Jungen, aber in jungen Jahren nimmt man die eigenen Grenzen später wahr, mit entsprechenden Konsequenzen, wie viele Statistiken belegen. Es ginge also darum, für ältere Menschen ein Arbeitsumfeld zu schaffen, wo sie ihre reiche Erfahrung, ihr Wissen und ihre Gelassenheit einbringen können und mit jungen Mitarbeitenden gemeinsam eine Teilhabe und Leistung möglich wäre.

Bestehendes weiterentwickeln

Diese dritte Lebensphase verlangt älteren Menschen also nochmals viel Einfallsreichtum und Flexibilität ab. Zuerst müssen sie sich kundig machen, wo es etwas Sinnvolles zu tun gäbe, für sich werben, sich vorstellen, sich in komplett neue Strukturen einbringen und sich darin bewähren – nicht ganz einfach. Ganz zu schweigen vom Statusverlust – einige von ihnen hatten über Jahre eine anspruchsvolle Position inne und plötzlich arbeiten sie als Freiwillige/r in einem schlecht und recht organisierten Angebot/Projekt – da muss man lernen, auf dem Mund zu hocken und tief durchzuatmen. Es bleibt zu hoffen, dass mit den Babyboomern, die nun in Scharen in Pension gehen, Neues möglich sein wird, um diese Menschen weiterhin sinnvoll einzubinden in der Gesellschaft – zum grossen Nutzen für alle.